Theologie
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PFINGSTEN
 
EINHEIT ODER EINHEITLICHKEIT?
Pfingsten, der Geist und die Globalisierung

von Rainer Oechslen

 

Kurz und knackig:

1. Einheit und Einheitlichkeit dürfen nicht verwechselt werden.

2. Aufhören, in der Ökumene nach äußerlicher Einheitlichkeit zu streben

3. Miteinander der Verschiedenen

Irgendwann fiel dem König Nebukadnezar ein: "Ich herrsche über ein Reich, das die halbe Welt umfasst. Überall in meinem Reich gelten einheitliche Gesetze. Die Leute rechnen und zahlen in einheitlicher Währung. Man versteht allenthalben die babylonische Einheitssprache. Da fehlt noch eine einheitliche Gottesverehrung, die Einheitsreligion."

Darum lässt der König ein goldenes Bild machen, sechzig Ellen hoch und sechs Ellen breit und lässt es aufrichten „in der Ebene Dura im Lande Babel". Als das Bild fertig ist, verkündet der Herold: „Es wird euch befohlen, ihr Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen: Wenn ihr hören werdet den Schall der Posaunen, Trompeten, Harfen Zittern, Flöten, Lauten und aller anderen Instrumente, dann sollt ihr niederfallen und das goldene Bild anbeten, das der König Nebukadnezar hat aufrichten lassen." Und wer nicht niederfällt? Dem lässt der König einheizen. Für die Globalisierungsgegner hat man extra einen glühenden Ofen gebaut.

Nebukadnezars Politik ist ein Konzept von Einheit. Ich nenne es das babylonische Konzept. Man kann die Einheitlichkeit der Menschheit mit Hilfe des Militärs durchsetzen oder mit Hilfe der Wirtschaft - etwa so, dass „niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Zeichen hat, nämlich den Namen des Tiers oder die Zahl seines Namens." Man kann sie auch mit Hilfe der Kultur durchsetzen, mit Hilfe der Religion - oder mit allem zusammen.

Es gibt allerdings noch ein anderes Konzept, nennen wir es das Jerusalemer Konzept der Einheit. Da versammeln sich zu Schawuot, unserem Pfingstfest im Tempel von Jerusalem ein Kreis von Christen und es geschieht „plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind ... und es erscheinen Zungen zerteilt, wie von Feuer; ... und sie wurden erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen." Nun entsteht nicht etwa eine Welteinheitssprache. Es wird weder das Griechische noch das Lateinische den Gemeinden als heilige Sprache verordnet. Sondern jeder und jede hört nun seine eigene Muttersprache - Parther und Meder und Elamiter und Leute aus Mesopotamien (d.h. aus Babylon!), aus Kappadozien, Phrygien und Pamphylien, Arabien und so weiter. Wo Pamphylien ist, weiß ich auch nicht. Aber ich stelle mir vor, dass man in Jerusalem neben der pamphylischen auch noch die estnische und die ungarische Sprache gehört hat und Malajalam, die Sprache aus Kerala, die noch kein Europäer gelernt hat, auch Rätoromanisch hörte man da und sogar Englisch.

Irgendwie wird aus diesem bunten Völker- und Sprachengemisch am Pfingsttag eine Gemeinde. Sie bedarf dazu - wenigstens erst einmal - keines Papstes und keines Bischofs. Es genügt die Predigt der Apostel - und die sind zu zwölft und untereinander keineswegs immer einer Meinung. Nicht lange, so werden die multikulturellen christlichen Gemeinden in Rom und Korinth viele innere Konflikte haben und sie werden auf Anregung des Paulus doch sagen: „Die Gemeinde ist ein Leib". Und ein Schüler des Paulus wird nach Ephesus schreiben: „Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung."

Die Behauptung Nebukadnezars „There is no alternative" - es gibt keine Alternative zum babylonischen Konzept der Einheit - ist sicher falsch. Es gibt wenigstens zwei Konzepte von Einheit. In Babylon versteht man Einheit als Einheitlichkeit, als Uniformität und Zentralismus. Im Jerusalemer Konzept ist Einheit vielgestaltig, vielsprachig, „viel - bunt" - wie das Wort „mannigfaltig" im Epheserbrief wörtlich zu übersetzen wäre. In Jerusalem gibt es kein „einheitliches Bild der Kirche in der Öffentlichkeit" - wie es in letzter Zeit manchmal in kirchlichen Verlautbarungen heißt. Wohl aber gibt es eine Einheit der Kirche im Geist und im Glauben - und es gibt sogar Freude an dieser Einheit.
Natürlich weiß ich, dass die Kirche nicht beim Jerusalemer Konzept geblieben ist. Immer wieder brach das Verlangen nach Einheitlichkeit durch - und zerstörte die Einheit. Als im Mittelalter eine zeit lang die ganze - westliche - Welt einheitlich christlich schien, da störten als einzige die Juden, die anders waren und partout anders blieben. Entsprechend schlecht erging es ihnen. Die Öfen von Babylon wurden aufs neue geheizt - und nicht nur in Europa. Auch in Südamerika brannten die Öfen, als mit Spaniern und Portugiesen das Christentum kam. Nicht die Ausbreitung des christlichen Glaubens durch alle Völker hin ist das Problem - sondern die Idee, die ganze Welt müsste ausnahmslos und einheitlich christlich werden und das Christentum müsste überall dieselbe einheitliche Gestalt haben. Diese Idee ist allerdings mörderisch.

Das gilt auch noch in der Zeit der Aufklärung. Gotthold Ephraim Lessing etwa kritisierte die Intoleranz der Religionen - und war zugleich der Anwalt einer einheitlichen „Erziehung des Menschengeschlechts". 1783 antwortete der jüdische Philosoph Moses Mendelsohn in seiner Schrift „Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum": Er schrieb: „Man stellt sich das kollektive Ding, das menschliche Geschlecht, wie eine einzige Person vor, und glaubt, die Vorsehung habe sie wieder gleichsam in die Schule geschickt, um aus einem Kind zum Manne erzogen zu werden." Aber das stimmt nicht, denn „jeder geht das Leben hindurch seinen eigenen Weg; diesen führt er über Blumen und Wiesen, jenen über wüste Ebenen oder über steile Berge und gefahrvolle Klüfte. Aber alle kommen auf der Reise weiter und gehen ihres Weges zur Glückseligkeit, zu welcher sie beschieden sind. Aber dass auch das Ganze, die Menschheit hienieden, in der Folge der Zeiten immer vorwärts rücke und sich vervollkommnen soll, dieses scheint mir der Zweck der Vorsehung nicht gewesen zu sein."

Gleich zwei Lieblingsideen der Neuzeit leugnet Mendelsohn: die Vorstellung von einem allgemeinen Fortschritt und die gewaltige Phantasie einer Einheitlichkeit der Menschheit. Ich glaube: Mendelsohn hatte allen Grund zu diesem zweifachen Nein.

Was bleibt uns zu tun am Pfingstfest 2002?
Ich sehe drei Schritte auf dem Weg von Babylon nach Jerusalem.

Erstens: Lasst uns endlich aufhören, Einheit und Einheitlichkeit zu verwechseln. Was nicht grau ist, das ist gräulich, was nicht blau ist, das ist bläulich, wo keine Einheit ist, da ist Einheitlichkeit. Aber lasst uns die Einheitlichkeit wenigstens nicht mehr Einheit nennen.
Zweitens: Lasst uns auch aufhören, in der Ökumene nach äußeren Einheitlichkeit zu streben. Wo die Christen und die Kirchen nicht einheitlich sein müssen, da entdecken sie am ehesten ihre Einheit im Geist. Jede Kirche dient der Einheit des Leibes Christi dadurch am besten, dass sie ihrer eigenen Berufung treu bleibt.
Drittens: Dass in unserer Stadt Nürnberg nach allem, was in ihr geschah, Menschen aus 150 Nationen zusammen leben, das ist ein unverdientes Geschenk. Kein einheitliches Nürnberg ist die Zukunft, sondern das Miteinander der Verschiedenen.

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OSTERN

Interview am 30.3.2002
(Jürgen Eisenbrand, Abendzeitung, Nürnberg)

Pfarrer mit Querdenker-Qualitäten: Heinrich Weniger hat, "obwohl eingefleischter Lutheraner", in der Osternacht zum ersten Mal auch für den Papst gebetet. Denn der schwer kranke Johannes Paul II imponiert ihm, weil er sein Schicksal mit Würde trägt und ein Zeichen der Hoffnung setzt.

AZ: Herr Weniger, wie verbringen Sie privat, der Familienvater, nicht der Pfarrer von St. Lorenz, die Osterfeiertage?
PFARRER HEINRICH WENIGER: Wir ziehen den Tisch aus, setzen die Verwandten dran und lassen es uns gut gehen. Außerdem gibt's den traditionellen Osterspaziergang, auf dem unsere beiden Kinder, obwohl schon über 20 Jahre alt, darauf bestehen, ein paar Ostereier zu finden. Und anschließend wird
im Familienkreis gekartelt. Meine Frau, die aus Köln stammt, spielt Skat, ich Schafkopf - alles ganz normal.

Die Auferstehung Jesu, die die Christen an Ostern feiern, ist für skeptische, im Glauben nicht verwurzelte Menschen nur sehr schwer als Tatsache zu akzeptieren. Wie vermitteln Sie solchen Menschen die Osterbotschaft?
Ich bin nicht klüger als die Frauen am Grab und die Jünger Jesu. In den alten Texten laufen sie entsetzt weg, zweifeln an der ganzen Sache, können das gar nicht glauben. Da muss ihnen schon der Auferstandene selbst entgegen kommen. Die Begegnung mit ihm wird in den Evangelien sehr behutsam beschrieben. Hernach sind sie sich sicher: Er ist es! Bald sind sie nicht mehr zu bremsen. Die Botschaft geht ans Netz der Römer. Sie ist von einer geradezu unverschämten Leichtigkeit und Todesverachtung, kommt zu Wort und geht zu Herzen - bis heute. Ich muss es ja nur singen und sagen - sonst könnt ich hernach nicht so ruhig beim Bier und Schafkopf sitzen.

Machen Sie sich's da nicht ein bisschen zu einfach? Die Auferstehung, die Jungfrauengeburt, die Verwandlung von Wasser in Wein und all die anderen Wunder: Sind das alles nun Tatsachen oder nur bildhafte Gleichnisse? In welchem Maße ist die Existenz Jesu eigentlich historisch verbürgt?
Wir haben da nicht viel mehr als die biblischen Quellen. In unserer modernen, historischen Auffassung von "Tatsachen" kommt eine Auferstehung von den Toten nicht vor. Das hat die Vernunft freilich nie gehindert, den Traum der Unsterblichkeit zu träumen. Daraus entstanden die größten wissenschaftlichen Erfolge. Der Philosoph Leibniz hat z.B. unser modernes Computer-System aus dem (unbeweisbaren) Dogma der Schöpfung der Welt aus dem Nichts entwickelt. Ich fürchte, wir kommen ohne "Wunder", Bilder und Gleichnisse nicht aus - obwohl uns das der "Tatsache" der Auferstehung Christi nicht näher bringt.

Dann haben Sie Verständnis für jemanden, dem es schwer fällt, mit seinem rational geprägten Bewusstsein Dinge zu glauben, die er einfach nicht begreifen kann?
Ach, es fällt heute genauso schwer, Dinge zu glauben, die wir sehr wohl begreifen. Der Holocaust, der 11. September - Albträume voll mörderischer Rationalität. Ich hoffe nur, dass aus dem Glauben an die Auferstehung keinAlbtraum wird: Die Auferstehung von den Toten als Super-Klon, der meine genetische Existenz beliebig neu materialisiert und erstehen lässt. In Zukunft wird man nicht fragen: Sind dein Glaube, deine Träume noch zu retten? Sondern: Wer rettet uns vor unseren eigenen Albträumen?

Bleiben wir vorläufig bei der Geschichte der Kirche. Sie ist voller Kriege, Gewalt und Torturen, die Menschen anderen Menschen im Namen Gottes zugefügt haben. Martin Luther war ein ausgeprägter Antisemit und hat die blutige Niederwerfung der Bauernaufstände durch den Adel abgesegnet. Wie stehen Sie zu diesem schwierigen Erbe der Kirchengeschichte?
Eine Jüdin hat mir einmal in einer Diskussion über Auschwitz gesagt: "Je weniger ihr vergesst, desto eher werden wir vergessen können". Das hat gepasst zu meiner Seele. Die Passions- und Ostergeschichten gehen sehr offen mit dem Versagen der Jünger um. Nicht, um euch mundtot zu machen, sondern um einzutreten und den Mund aufzumachen für die Geringsten unter den Menschen, in denen ihr das Antlitz Christi seht.

Trotz schrecklicher Erfahrungen im Laufe der Jahrhunderte wird auch heute noch missioniert. Sollte man damit nicht endlich aufhören und andere Religionen als gleichberechtigt anerkennen?
Dietrich Bonhoeffer, den die Nazis umbrachten, hat einmal - fast programmatisch für das 21. Jahrhundert - gesagt: "Die Sache der Christen wird eine stille und verborgene sein; aber es wird Menschen geben, die beten und das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten". Diese Menschen gibt es übrigens auch in anderen Religionen. Kein Grund zur Panik also oder sich besonders hervor zu tun.

Bei uns wirbt die Evangelische Kirche derzeit auf Plakaten für sich. Etwa mit der Frage: Woran denken Sie an Ostern? und den vier Antwortmöglichkeiten: a. Ferien, b: Cholesterin, c: Auferstehung Christi, d: Langeweile mit der Familie. Diese Kampagne kostet bundesweit 1,5 Millionen Euro und ist sehr umstritten. Was ist Ihre Meinung dazu?
Ach ja ... da steckt sicher eine sehr professionelle Werbestrategie dahinter, die die Kirche genauso positioniert wie Mercedes und die Deutsche Bank ... wenn die so gut zahlen ...

Kann man denn für die Kirche überhaupt werben wie für ein beliebiges Dienstleistungsunternehmen?
Natürlich, nur: abgerechnet wird zum Schluss. Der Auferstehung der Toten folgt das jüngste Gericht und das geht danach, in welcher Gestalt mir Christus begegnet ist. Das Profil muss stimmen.

Was heißt das?
Kirchliche Dienstleistung bemisst sich, wie gesagt, nach unserm Eintritt für die Schwachen und Geringen, in denen wir den gekreuzigten und auferstandenen Herrn erkennen. Das ist unser Profil. Das meinte Bonhoeffer mit dem "Tun des Gerechten". Ich glaube, dass er davon ein bisschen mehr verstand als die Unternehmensberatung McKinsey. Und dass sein Programm besser ist als die neuen Werbe- und Entwicklungsprogramme meiner Kirche. Das glaube
ich allerdings auch.

Weihnachten ist bereits voll kommerzialisiert, der Trend an Ostern geht in dieselbe Richtung. Die Phalanx der Osterhasen und die Ostereierbatterien in den Supermärkten sprechen für sich. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Damit haben wir nix am Hut. In der Lorenzer Osternacht bieten wir Osterbrot und heißen Tee.

Was haben Sie noch zu bieten?
Ein volle Kirche. So ab 600 Kerzen flimmert die Luft. Wenn dann 1000, die sonst nur in der Arena oder beim Club den Mund aufkriegen, in den Osterhymnus "Christ ist erstanden" einstimmen und Chor und Orchester in das Halleluja von Händel, dann schwingt der Dom. It must swing. Ich freu mich drauf!

Welche Osterbotschaft geben Sie den Menschen mit?
Es geht um unser Profil, um das Antlitz des Gekreuzigten und Auferstandenen.
Ich sehe einen guten Freund von mir. Früher war er Sologitarrist in der Blues-Band des legendären Martin Philippi. Sehe seine Hände zittern. Er kann wegen der Parkinsonschen Krankheit nicht mehr spielen, nicht mehr gehen und richtig kauen. Er ist 48 Jahre alt.
Ich sehe vor mir den Papst Johannes Paul II. Jahrelang hatte ich so meine Probleme mit ihm. Aber in letzter Zeit hat sich mein Bild gewandelt: Wie er, an derselben Krankheit leidend, tagtäglich seine Pflichten erfüllt und so ein Zeichen der Hoffnung für alle Kranken setzt, das bewundere ich.
Weil er sich nicht versteckt, nicht schämt, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das hat Stil. Das ist unser Profil. Ich werde - obwohl eingefleischter Lutheraner - das erste Mal in der Osternacht auch für den Papst beten, dass er's durchsteht. Er und mein Freund. Und ich sage: Für euch muss es Ostern werden, für euch und alle, die krank und leidend sind, muss Ostern ein Fest der Hoffnung sein. Dann wäre viel erreicht.

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MEINE OSTERGESCHICHTE

Im Nürnberger Tiergarten, Karfreitag, 18 Uhr: Die Elefanten haben Ruh, das Raubtierhaus hat zu, strömen da auf einmal die letzten paar Besucher zusammen, wo dieses zottelige schottische Hochlandvieh steht, das mit den riesigen Hörnern und dem feinen, sich kräuselnd dichten Fell dazwischen. Und?

Du siehst, siehst, was du nie im Leben gesehen hast. Und doch weißt du sofort, was hier geschieht. Eine Kuh kalbt. Zögernd bleibst du stehen. Ein verschämt verlegenes Stieren auf den intimsten Vorgang im Leben aller! Aber du musst hinsehen, als ob es etwas zu bezeugen gäbe. Da rutscht das Kleine wie ein Sack auf die Erde. Die Mutter leckt es sogleich ab. Der Bulle stößt’s sanft an mit seiner breiten schottischen Hochlandstirn, dass es sich regt.

Dann kommt dieser entscheidende Moment, wo dieses Neugeborene selber aufstehen muss, selber auf die eigenen Beine kommen muss, damit es leben kann. Mucksmäuschenstill wird es im großen Rund der Tiere und der Menschen. Der Mann am Zaun neben dir schluckt.
Da, endlich: Geschafft!

Das Kälbchen steht tatsächlich auf seinen vier Beinen, staksig, wacklig. Aber es steht. Jetzt kann’s Ostern werden! Das bedeutet in dem Fall: Auf eigenen Beinen stehen. Schon rufen die einen Bravo, klatschen Beifall. Die andern stehen da und sind einfach gerührt. Der neben dir sagt: Herzlichen Glückwunsch!.

Karfreitag im Paradies bei den Tieren: Wie rührend ernsthaft und armselig unser Sprechen ist! Zu einer Kuhmutter: Herzlichen Glückwunsch sagen - hast du da noch Töne? Wie kindlich wenig unsere moderne Art doch hergibt, allein die Geburt eines Kälbchens zu feiern. Wie viel weniger dann erst die Auferstehung und die neue Geburt aus dem Glauben?
Ostern - das bedeutet für mich diesmal: Auf eigenen Beinen stehen. Es gibt ein Leben nach Karfreitag.

Es wird Montag, es wird Dienstag / Leg die Arme um deine Knie’ / Niemand steht für dich auf / Niemand und – nie! H.W.

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WEIHNACHTEN

Das Märchen
vom Frieden auf Erden

Es war einmal vor Anbeginn der Welt, da lebte Gott der Herr in der Höhe und Tiefe seiner Macht und Güte, lebte er, dem Sonne, Mond und Sterne dienen, und bei ihm der Engel Schar viel tausend, tausend Jahr. Sie hatten güldnen Frieden und sangen siebenstöckig das Gloria in excelsis: Ehre sei Gott in der Höhe.

Bis Gott der Herr fand, dass ihm etwas fehlte und er die Menschen schuf nach seinem Bild mitten im Weltall auf einem kleinen Gestirn, genannt die Erde. Und Gott der Herr tat auf den großen Himmelsschatz und fragte die Menschen: Was wollt ihr haben? Hat alles ausgebreitet, was er hatte. Und so nahmen sich

die Äthiopier die Schönheit Afrikas, Ausdauer und Schnelligkeit
die Armenier die Tapferkeit und den Klang ihrer wunderbaren Stimmen
den Chinesen schenkte er Fleiß und Höflichkeit und schöne Seidenstoffe
den Deutschen gab er Geld und kluge Leute
die Franzosen wollten Esprit und Contenance und die französische Küche
die Griechen bekamen Plato und Sokrates und den Sirtaki
die Koreaner viel technisches Geschick und Sympathie
die Kroaten bekamen die Beweglichkeit eines Goran Ivanisevic und Davor Suker
den Philippen schenkte er Liebenswürdigkeit und tausend Inseln
den Polen Heimatliebe, Veit Stoß und eine wunderbare Sprache
die Portugiesen holten sich die Seefahrt, das Meer und die Sterne
die Rumänen die Donau, Musik und Tanz
die Serben Mutterwitz, Ikonen und Klöster und
den Spaniern schenkte er Temperament, den Wein und uns ein wunderschönes Nürnberger Christkind: Marisa Sanchez

Das alles schenkte er den Menschen und leerte seinen Schatz bis auf den Grund. Bald war die ganze Welt weggegeben, und die Menschen auf und davon und mit ihren Geschenken beschäftigt wie Kinder an Weihnachten. Da entdeckte Gott der Herr in seiner Güte - und siehe, ganz hinten im Eck lag noch etwas: Genau! Der Friede auf Erden.

Den hatten die Menschen irgendwie vergessen. Gott der Herr wurde unruhig: Was nützen all die Gaben und Geschenke, wenn ihnen der Friede auf Erden fehlt?
Ooch, sagten die lieben Engel, es reicht doch, dass wir Himmlischen Frieden haben. Wie soll denn, bitteschön, der Friede auf Erden kommen? Interessiert doch eh niemand, sonst hätten die ihn doch längst abgeholt!

Ich glaube, sprach einer von den Erzengeln, der Friede muss als Gast auf die Erde kommen. Denn zu Gästen ist man höflich. Man holt sie vom Bahnhof ab. Man bittet sie herein zu kommen. Der Gast bestimmt das Leben im Haus.
Nicht bei der bayerischen Staatsregierung, sagte einer von den vorwitzigen kleinen Engeln.
Dann halt dort, wo Gastfreundschaft noch etwas gilt, sprach der Erzengel, ganz ohne Gewalt und Macht muss der Friede auf Erden kommen, so dass man ihn gern bei sich aufnimmt.

 

Vielleicht als Kind, fuhr ein anderer fort, ein Kind aus einem armen unterdrückten Volk. Das können die Menschen gar nicht ablehnen.
Außer die bayerische Staatsregierung, tönte es aus der Tiefe der Galaxis. - Ruhe auf den vordern Plätzen, zischte der Erzengel.

Friede, Freude, Eierkuchen, sprach einer von den jungen kriti-schen Engeln, es muss doch auch ehrlich zugehen! Frieden muss dort sein, wo er echt gebraucht wird. Bei jemand, der ganz allein ist, keine Hilfe hat und trotzdem stark sein muss.
Bei einer allein erziehenden Mutter, sprachen gleich ein paar. Ich wüsste jemand, sagte Gabriel, aber die hat einen Freund mit Namen Josef. - Na gut, sagten die andern, macht ja nichts.

Und wer kommt dafür auf, wer soll hinter dem Kind stehen, fragte Gott der Herr, einfach ein Kind in die Welt setzen, Frieden auf Erden bringen, aber nichts dafür tun! Da wurde es auf einmal ganz still in der Engelrunde. Und sie sahen alle auf ihn.

Und Gott der Herr sprach: Also gut, ich klemm’ mich dahinter. Und das begab sich zu der Zeit, als ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde ...

Soweit mein Märchen. Den Rest kennt ihr selber. Von Ewigkeit zu Ewigkeit singen die Engel ihr Ehre sei Gott in der Höhe. Aber seit jener Zeit und zum ersten Mal auf den nächtlichen Fluren von Bethlehem singen sie es mit dem berühmten Zusatz ... und Friede auf Erden bei den Menschen, die er liebt.

Also klemmt euch dahinter, damit die Geschöpfe dieser Erde nicht durch Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen sind in sinnloser Trennung nach Rasse, Hautfarbe und Weltanschau-ung! Und fangt heute damit an, damit euere Kinder und Kindeskinder einst mit Stolz den Namen der Menschen tragen, wie geschrieben steht am Eingang euerer Vereinten Nationen in New York. H.W.

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